Poesie des Alltags

Nur hinterm Haus

es sei nicht länger euch verschwiegen
was den erwählten längst bekannt
und auch dem heer der schwarzen fliegen:
dort hinterm haus ist reibekuchenland

wenn erste fröste durch die gräser ziehen
und man bei maulwurfs an den vorrat denkt
sieht man sie köstlich unterm laub erblühen
die späte frucht, die uns der winter schenkt

sie schlüpft gebräunt ans bleiche licht der sterne
ihr duft treibt selbst den müden dichter um
er schleicht hinaus, schwenkt seine reimlaterne
und beugt sich nieder zum präludium

noch wartet er, bis dann vom wind getrieben
das lied der puffer durch die nacht ertönt
dann hat er eiligst dies gedicht geschrieben
und sich ein glas kartoffelschnaps gegönnt

ich folgte ihm, als alle nachbarn schliefen
und sah der goldnen scheiben hochzeitsflug
er endete in meines schlundes tiefen
nun schäm ich mich, ich kriegte nie genug

hier mündet, was die ungarn und westfalen
verknüpft, wenn sie nicht über gulasch streiten
denn weit entfernt von gammelfleischskandalen
schätzt man die tócsni-reibekuchenzeiten

wenn ihr in dortmunds weihnachtsmarktgefilden
sie brutzeln seht an jedem dritten stand
dann glaubt dem üblen schwindel nicht, dem wilden
nur hinterm haus ist´s reibekuchenland

aus dem neuen satirischen Weihnachtsbuch
„und wieder zieht das Elchgespann...“

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messerscharf

tief in ihrer Mädchenseele
dort, wo die Romantik nistet
spürte schmerzlich Frau Adele
dass ihr Liebesglück befristet

ach, sie roch seit vielen Jahren
fremden Schweiß in Gernots Socken
und nun fand in seinen Haaren
sie die Spuren fremder Locken

und am Samstag gegen zehn
sah man sie bei Karstadt steh´n
4. Stock, bei Haushaltswaren
und dort auf die Messer starren
denn an jedem Wochenende
war doch die Geduld zu Ende
und so plante sie seit Jahren
ihn ins Jenseits einzufahren -

wenn er tief und sorglos pennte
sah sie oftmals auf ihn nieder
und bedachte seine Rente
das Vertrieb die Mordlust wieder

als im Klange seiner Stimme
sie die falschen Töne hörte
blieb kein Zweifel, dass der Schlimme
ihre Nachbarin betörte

und mit fieberheißen Wangen
wuchs ihr tödliches Verlangen
in der Hand die scharfen Klingen
schwor sie sich, ihn umzubringen
klein zu sehn auf allen Vieren
und dann lustvoll zu tranchieren
so nach seinem Blute brünstig
kauft sie Klinge hundertfünfzig

wie das Messer sie am Morgen
schon zum siebten mal polierte
wollt´ sie endlich ihn entsorgen
höchste Zeit, dass es passierte

bis an diesem Nachmittage
ihre Welt zusammenkrachte
als man ihn auf einer Bahre
mausetot nach Hause brachte

dass beim ersten Straßen-Eise
Gernot starb mit achtzig Sachen
war gemein, auf diese Weise
sich vom Acker fortzumachen -
ließ der Kerl sie einfach sitzen
war das ihrer Langmut Lohn?
in der Lade sah sie blitzen
ihre Klingen-Kollektion

soll´n Adele wir bedauern
die nun nicht, was sein muss, darf?
nein, schon sehen wir sie lauern
auf den Nächsten, messerscharf

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die mauer zwischen mir

der abend ist aus kühlem stoffe
der regen träumt vom regenwald
der penner pennt, die hose offen
dahinter bleibt die küche kalt

nichts will in meinem kopfe leuchten
ach, bitte nur ein gläschen wein!
ich möchte mir die zunge feuchten
und dann ein mann fürs grobe sein

mein atem schmeckt nach schwarzer seife
ich singe wie ein warzenschwein
wenn ich jetzt durch das dunkel streife
dann muß es nicht in streifen sein

ich rieche hinterm straßenbogen
´nen kühlen schluck aus zarter hand
wenn meine wittrung mich betrogen
verliert mein spiegel den verstand

der fünfte vers versinkt im glase
der wein war teuer aber schlecht
mein weib rümpft wieder mal die nase
man ist halt mann, des durstes knecht

durch meinen halbschlaf sickert freude
daß ich des lebens sinn verstand
wenn ich mich jetzt darum beneide
so liegt es wohl am ungarnland

ich schreib die jahre an die mauer
an denen die erinn´rung klebt
dann wischt ein jäher regenschauer
sie blank - was soll´s? die wüste lebt

Budapester Aprilgedicht 2006/2009

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hippokratisch gesehen

Mein Arzt vertritt die deutsche Art
mit Stethoskop und Spritze
damit man den Respekt bewahrt
erlaubt er keine Witze

Mein Arzt hat einen Euro-Blick
streng über´n Rand der Brille
und meist – zu des Patienten Glück
gibt´s irgend eine Pille

Die Pille spricht perfekt Latein
das schafft fürwahr Vertrauen
doch leider Gott´s vermag kein Schwein
da wirklich reinzuschauen

Der Arzt, bei dem ich heute war
tat sich darauf beschränken
ein Dutzend Nadeln unsichtbar
ins Ohr mir zu versenken

Nun scheint es, dass das wehe Kreuz
höchst wunderbar genesen
doch schmerzt im Ohr nun andrerseits
die Heilkunst der Chinesen

(aus den Fax-Duellen 2003, von Egon Heuser, vertont)


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